Feldpost und Zensur im Zweiten Weltkrieg
Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg zählen zu den Dokumenten, die am häufigsten für eine Übersetzung angefragt werden. Meistens sind es wertvolle Erinnerungsstücke, die in der Familie erhalten geblieben sind und etwas über den (Kriegs-)Alltag und das Schicksal der Soldaten erzählen. Sie liefern jedoch auch wichtige Erkenntnisse für die Geschichtsforschung (bspw. im Projekt ›Die Handschrift des Krieges‹ am Museum für Kommunikation in Berlin).
Während des Zweiten Weltkriegs wurden schätzungsweise 33 Milliarden Sendungen (Briefe, Karten, Päckchen, Pakete) im Rahmen der deutschen Feldpost versandt (vgl. Buchbender 2010: 19). Da diese grundsätzlich kostenlos war, konnten Soldaten viel schreiben, wenn sie konnten und wollten. Jedoch konnten sie nicht schreiben, was sie wollten, denn die Feldpost war der Zensur unterworfen.
Die Briefe boten den Soldaten die Möglichkeit, in Kontakt mit der Heimat zu bleiben. Dabei war der Austausch von Nachrichten mindestens so wichtig wie der Austausch von Waren: Durch Päckchen von der Front in die Heimat und von der Heimat an die Front wurden Warenströme in enormem Ausmaß abgewickelt. Soldaten erhielten von der Heimatfront dringend notwendige, aber durch die Versorgung der Wehrmacht nicht oder nur schleppend bereitgestellte Gegenstände – von Bekleidung und Rasierklingen über Zigaretten und Wurstwaren bis hin zu Schokolade. Umgekehrt besserten Soldaten insbesondere in den ersten Kriegsjahren die Versorgungslage an der Heimatfront auf, indem sie aus den besetzten Gebieten Waren kauften (oder raubten) und an Angehörige schickten: Bekleidung, Schmuck, Konserven, landestypische Produkte.
Aus strategischen Gründen war jedoch jegliche Nennung von Truppenbewegungen und Kampfabsichten, Ausrüstung und Aufstellung der Einheiten untersagt. Wären derartige Briefe in Feindeshände gefallen, so hätten diese unter Umständen einen taktischen Vorteil erlangen können. Feldpost war zudem ein „Stimmungsbarometer“ – was die Heimatfront über den Krieg und seinen Verlauf erfuhr war in den Reichsmedien weitgehend propagandistisch durch das NS-Regime gesteuert. Feldpost stellte hier eine Bedrohung der Regimepropaganda dar, da sie unmittelbare Eindrücke von der Front und über die Stimmung in der Armee transportieren konnte. Daher wurden regimekritische oder defaitistische, also pessimistische, Aussagen zensiert und auch strafrechtlich verfolgt („Heimtückegesetz“).
Eine Selbstzensur der Verfasser wurde zwar propagiert und durch entsprechende Gesetze bestärkt, dennoch waren offiziellerseits Zensurmaßnahmen unumgänglich. Aufgrund der enormen Menge der Sendungen konnten diese natürlich nur stichprobenartig erfolgen. Diese Stichproben wurden von der Feldpostprüfstelle durchgeführt: Sendungen wurden geöffnet, Inhalte (Texte, aber auch Fotos, Waren usw.) wurden überprüft und gegebenenfalls durch Streichungen/Radierungen zensiert (vgl. weiterführend hier).
Dennoch waren Fälle der Umgehung der Zensur recht häufig und Schreiber kreativ. Vor dem Einrücken ins Feld oder im Heimaturlaub vereinbarte Stichworte kamen zum Einsatz, Stellungsbewegungen wurden unter Verweis auf gemeinsame Urlaube umschrieben. Aber auch Chiffrierungen – also die Verschlüsselung eines Klartextes – wurden angewandt, um an der Zensur vorbei Informationen und Befindlichkeiten von der Front in die Heimat oder vice versa zu transportieren.
Ein schönes Beispiel hierfür findet sich in den Feldpostbriefen des Offiziers Franz K. Beinahe täglich schrieb er von 1939 bis 1945 seiner Frau und seinen Kindern von der Front. In seinen Briefen finden sich Banalitäten des Alltags ebenso wie Klatsch und Tratsch aus der Heimat, kostbare Erinnerungen, Zukunftswünsche und Zukunftsängste, Liebkosungen und Sehnsüchte. Trotz der Gefahr der Zensur und ungeachtet seiner exponierten Stellung als Offizier teilte er seiner Familie dennoch immer wieder seine Standorte mit: in verschlüsselter Form.
So beispielsweise am 14/15. August 1941. Seine Frau wusste zwar, dass er seit längerem in Norwegen und dort in der Nähe von Oslo stationiert war, über das Ziel seiner anstehenden Verlegung konnte er sie jedoch nicht offen informieren. Mit dem Hinweis, sie solle „zwischen den Zeilen lesen“, machte er sie auf die geheime Botschaft und somit auf den Bestimmungsort aufmerksam.

Liebes!
Ich befinde mich in einer Funkerkajüte, wo ich mein Quartier auf
einige Tage aufgeschlagen habe, den Brief gedenke ich dann der Post über-
geben zu können, dann wird’s allerdings etwas länger dauern bis ich wieder
Gelegenheit zum Absenden bekommen werde. Diese Stadt war ja wirklich
märchenschön, ich mußte bei all den Schönheiten dran denken, das ein ge-
meinsames Erleben noch tiefer u. schöner gewesen wäre, ich war da soviel
in meinen Gedanken bei Dir, obwohl ich meine 7 Sachen doch zusammenhalten
mußte. Den Dom konnte ich leider nur von außen betrachten, dafür fuhr ich
mit R. Varenhold + H. mit der Kutsche durch die Stadt u. über einen Höhen-
weg entlang, wo wir einen zauberhaften Blick genossen. Du kannst ab heute
auch wieder einmal versuchen zwischen den Zeilen zu lesen, ein Grund Dich zu
ängstigen hast Du aber deswegen noch nicht, zumal ich nicht weiß ob es auch […]
Brief von Franz K. vom 14/15. August 1941
Die hervorgehobenen Buchstaben lassen sich zum Bestimmungsort „Kirkenesen“ zusammenfügen: Die Stadt Kirkenes im äußersten Nordosten Norwegens an der Grenze zu Russland und Finnland. Der Überfall auf die Sowjetunion hatte am 22. Juni 1941 begonnen und offensichtlich bewegte sich Franz‘ Einheit in das Kampfgebiet nach Russland.
Im Oktober 1941 bestätigt sich dies, auch hier musste seine Frau nur wieder in der gewohnten Weise „zwischen den Zeilen“ lesen.

Liebe Frau!
Feldpostkarte von Franz K. vom ca. 7. Oktober 1941
Diesmal ahnst Du es wirklich nicht, ich habe
schon viel erlebt, ich hoffe aber weiterhin gesund zu blei-
ben. Schreibt mir nur fleißig u. versorgt mich mit
allen Nachrichten aus der Heimat. Wenn ich noch
einige Tage hinter mir habe, sehe ich klarerwellwill
Dir dann in einem Brief ausführlicher berichten.
Grüße u. Küsse Dein Franz
Für die Ursel ein bes. Kuß. Somit weißt Du ja Bescheid.
Der Vormarsch nach Russland schien geglückt, die Chiffrierung deutet auf die „Fischerhalbinsel“ (etwa 70 Kilometer nördlich von Murmansk) an der Barentssee. „Somit weißt Du ja Bescheid“ war wiederum das Signal an seine Frau, aufmerksam zu lesen und sich über die Truppenbewegung ins Bilde zu setzen.
Franz K. hatte seine ruhige Stellung im besetzten aber friedlichen Norwegen gegen einen Fronteinsatz in Russland getauscht. So beruhigend es war, regelmäßig durch die Feldpost von seinen Angehörigen zu hören: es konnte auch schlaflose Nächte bereiten.
Die von Franz K. gewählte Chiffrierung durch Hervorhebung einzelner Buchstaben, die zusammengesetzt ein neues Wort ergaben, ist simpel. Zugleich ist sie recht unauffällig, solange die Konturierung der Buchstaben nicht zu stark ausfällt und sie den Zensor nicht schon beim Öffnen des Briefes anspringt. Dies wäre beispielsweise bei einer Unterstreichung von Buchstaben der Fall (vgl. das Beispiel bei Kilian/Schwender).
Die sog. Briefmarkensprache hingegen dürfte in der Verschlüsselung geheimer Botschaften an der Feldpostzensur vorbei keine Rolle gespielt haben. Feldpostsendungen waren bis 250 g. gebührenfrei und wurden nicht mit Briefmarken frankiert. Seit den 1870er Jahren war es durchaus gängig, dass vor allem Liebespaare sich durch die Anordnung der Briefmarken „geheime Botschaften“ schickten. Es gab vielerlei Codierungs- und Bestimmungsbücher, die die Briefmarkensprache erklärten (siehe ausführlich bei Völk 2020).

Zugleich war der Rahmen des Mitteilbaren aber durch die Anordnung von Postwertzeichen begrenzt. Sofern Verfasser und Empfänger von Feldpost Postwertzeichen zum Einsatz bringen konnten und nicht zuvor eine besondere Bedeutung der Anordnung vereinbart hatten, dürfte die Verwendung selten über die vorgeschlagenen sentimentalen Phrasen hinausgegangen sein.
Ist Ihnen eine besondere Form der Chiffrierung in Feldpostbriefen aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg untergekommen? Lassen Sie es mich wissen!
Literatur:
Ortwin Buchbender (2010): Zur Geschichte der Rezeption und Sammlung von Feldpost in Deutschland oder »Auf den Spuren von subjektiven Wirklichkeiten«. In: Didczuneit, Veit; Ebert, Jens; Jander, Thomas (Hrsg.): Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege [Konferenz im Museum für Kommunikation Berlin, 13. bis 15. September 2010], S.17-22.
Katrin Kilian; Clemens Schwender: Die Briefzensur 1939-1945. In: Feldpost-Archiv.de (http://feldpost-archiv.de/11-zensur.shtml, aufgerufen am 8.1.2022).
Malte Völk (2020): Die Briefmarkensprache. Kulturelle Praxis und Pathosformel. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 2020/2, S.85-102.